Mittwoch, März 15, 2006

Interview mit Strahil Karapchanski





INTERVIEW MIT STRAHIL KARAPCHANSKI


Strahil Karapchanski, Absolvent am Goethe – Gymnasium, Burgas im Jahre 2002, ist momentan Student für Europäistik (Europa Studien) an der Universität Russe. Er beschäftigt sich sehr intensiv mit den aktuellen Tendenzen der europäischen Integration, insbesondere im Bezug auf die Regional- und Strukturpolitik der EU sowie die so genannten „multi-level policy shaping processes“ , also der Formen der mittelbaren und unmittelbaren Partizipation der Zivilgesellschaft in all deren Prägungen und Erscheinungsformen in der Entscheidungsfindung der EU.

Strahil ist ebenso Mitglied des Nationalteams von EU-Integrationsexperten, das vom bulgarischen Außenministerium und dem Institut für Öffentliche Verwaltung und Europäische Integration geleitet wird. Darüber hinaus ist er Landesvertreter für Bulgarien vom Mit-Ost Verein, einer internationalen Organisation, die den Kultur- und Sprachaustausch in Mittel- und Osteuropa pflegt und fördert.

Nach erfolgreichem Abschluss eines internationalen Fernstudiengangs im Fach Politikwissenschaft ist er seit April 2005 Koordinator eines grenzübergreifenden Schülerprojektes zum Thema „Menschenrechte“.

Am 17. Oktober 2005 ist Strahil mit einem Teil seines Projektteams nach Burgas gekommen, um die Ergebnisse dieses Projekts an „seinem“ Gymnasium zu präsentieren sowie Möglichkeiten für weitere Projektkooperationen mit dem Goethe – Gymnasium – Burgas anzusprechen.

Das Schülerprojekt, das unsere Gäste aus Russe am Goethe – Gymnasium - Burgas vorgestellt haben, wird durch den Fonds „Erinnerung und Zukunft“ finanziert und verfolgt als sein unmittelbares Ziel die Steigerung des bürgerlichen Bewusstseins und die Förderung des gesellschaftlichen Engagements junger Leute aus Bulgarien und Rumänien. Im ersten Projektteil hat sich eine Gruppe aus 25 Schülerinnen und Schülern aus Russe sehr gründlich mit der Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen von Juden durch das nationalsozialistische Regime vor Ort auseinandergesetzt.

Über die theoretische und inhaltliche Vorbereitung hinaus haben sie vertiefende Recherchen nach authentischen Dokumenten im staatlichen Archiv sowie Interviews mit Zeitzeugen getätigt. Die Ergebnisse ihrer Arbeit haben sie elektronisch in der Form einer CD-ROM zusammengefasst. Im zweiten Projektteil finden Präsentationen dieses Endprodukts an mehreren Bildungsinstitutionen in Bulgarien und Rumänien statt, die von interaktiven Diskussionen mit den Gastgebern begleitet werden.

Dem Goethe – Gymnasium Burgas fiel die Ehre zu, die erste Projektpräsentation zu hospitieren und aus diesem Anlass stellt die Redaktion der Schülerzeitung „Yo–Yo“ dem Projektkoordinator, Herrn Strahil Karapchanski, ein paar Fragen:

Frage 1: Warum stand die Verletzung der Menschenrechte der Juden im Mittelpunkt?

Im Kern unseres Projekts stand die Auseinandersetzung mit der Menschenrechtsproblematik auf Grund der nationalsozialistischen Erscheinungsformen und Einflüsse in der Region Russe. Der historische Hintergrund war also einer unserer wichtigsten methodologischen Pfeiler. Dementsprechend haben wir ebenso im Laufe der Präsentation dem geschichtlichen Teil viel Bedeutung geschenkt. Es ist meiner Meinung nach uns sehr gut gelungen, die Relevanz Menschenrechte aus der subjektiven Sicht zu thematisieren und zu analysieren, welches ebenfalls bei der interaktiven Diskussion im Plenum nach unserer Präsentation stattfand.

Frage 2: Man hat nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten, nicht wahr?

Diese Frage ist im aktuellen gesellschaftlich-politischen Hintergrund Bulgariens besonders angebracht. Natürlich stehen uns allen über die Rechte hinaus auch eine Reihe wichtiger Pflichten zu. Das Problem bei deren Wahrnehmung beruht meiner Meinung nach auf der nicht zufrieden stellenden politischen Kultur der bulgarischen Gesellschaft. Ich glaube, in Bulgarien hat die Transformation trotz ihrer fortgeschrittenen Phase die so begehrte Zivilgesellschaft immer noch nicht zustande gebracht, worauf alle spontanen und mitunter chaotischen sozialen Ereignisse der jüngsten Zeit zurückzuführen sind.
Somit ist es äußerst wichtig, dass jeder Einzelne seine persönliche Rolle und seinen eigenen Platz innerhalb des sozialen Milieus bestimmt und wiederfindet, so dass die Grundlagen für ein möglichst geregeltes und konfliktfreies Gemeinwesen geschaffen werden.

Frage 3: Was bedeutet Europäistik? Was wird dabei gelernt?

Wie sich die ehemalige Außenministerin Bulgariens Frau Nadezhda Mihaylova bei der „Weihe“ der Europa Studien in Russe ausgedrückt hat, sei dieser Studiengang „die bulgarische Botschaft an das Vereinte Europa“. Ich glaube, diese Bezeichnung ist besonders zutreffend, denn die europäische Integration ist kein Endzustand, sondern ein fortdauernder Prozess, der unter anderem von hochqualifizierten Fachleuten mit den entsprechenden sprachlichen, kommunikativen und interkulturellen Kompetenzen gesteuert werden soll. Im Laufe der Europa Studien werden die verschiedenen Aspekte der EU Integration gründlich untersucht: Das Studium umfasst vier wissenschaftliche Profile, jeweils Politik, Wirtschaft, Kommunikation und Kultur, dazu kommt ebenso der intensive und obligatorische Sprachunterricht in Deutsch, Englisch und Französisch. Den Studenten werden Wissen und Fertigkeiten vermittelt, die sich später als gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Laufbahn im öffentlichen Sektor, unter anderem auch in den Institutionen der EU, aber auch im privaten und im NGO-Sektor erweisen können.
Hervorzuheben ist auch die exzellente Kooperation der Universität Rousse mit zahlreichen europäischen Bildungs- und Forschungseinrichtungen, beispielsweise entsendet die Robert Bosch Stiftung seit mittlerweile vier Jahren Lektoren, die in Russe verschiedene Spezialfächer auf Deutsch unterrichten sowie studentische wissenschaftliche Projekte unterstützen.
Seit 2002 besteht in Russe das Bulgarisch-Rumänische Interuniversitäre Europazentrum (BRIE, http://www.brie.ru.acad.bg/), das ein Masterprogramm für Europa Studien bietet.
All dies ist ein guter Beweis für die günstige und moderne akademische Infrastruktur in Russe, der Geburtsstadt vom Nobelpreisträger für Literatur Elias Canetti, die die erfolgreiche Integration Bulgariens in die EU aktiv mitgestaltet.

Frage 4: Warum Projektarbeit?

Im bulgarischen Alltag klingt der Begriff „Projekt“ immer noch ziemlich abstrakt und fremd. Trotz der Bemühungen der Regierung gibt es immer noch einen akuten Mangel an qualifizierten Fachleuten, die gute und überzeugende Projekte schreiben und dadurch Geld für die Umsetzung ihrer Ideen bekommen können.
Ich selbst hatte die Chance noch im Laufe meines Studiums in die Gepflogenheiten der Projektarbeit eingeweiht zu werden. In den vergangenen zwei/drei Jahren habe ich beträchtliche Projekterfahrung gesammelt und ich kann es mir gut vorstellen, auch in Zukunft auf diesem Feld aktiv zu bleiben.
Ich bin übrigens gerade dabei, gemeinsam mit meinem tollen Projektteam in Russe, einige sehr interessante Projektideen umzusetzen, bei denen es um die Einbeziehung der Zivilgesellschaft und vor allem der Jugendlichen in die Mitgestaltung des politischen Geschehens geht. Eine davon beinhaltet beispielsweise die Erstellung eines Dokumentarfilms über die Art und Weise, auf der die Bulgaren den bevorstehenden EU Beitritt auffassen.

Frage 5: Und was das Sprachdiplom angeht?

Es ist sehr lustig, dass mir diese Frage wegen der 99,5 Punkte beim DSD immer wieder gestellt wird, obwohl die Prüfung schon vier Jahre zurück liegt. Offen gestanden war diese Leistung ein logisches Ergebnis meiner jahrelangen beharrlichen und konsequenten Arbeit mit der deutschen Sprache, die durch die Unterstützung der sehr guten Lehrkräfte am Goethe – Gymnasium, in meinem konkreten Fall insbesondere durch Herrn Dr. Bernd Wrede, gestärkt wurde.
Es ist wichtig, dass man schon als Schüler versteht, dass eine Fremdsprache nicht allein durch grammatische Übungen und Vokabeltraining erlernt werden soll, sondern vielmehr durch ständige Kommunikation und Auseinandersetzung mit den verschiedensten Medien: Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehen, Internet etc. Heutzutage steht den jungen Leuten eine Fülle von Informationsquellen zur Verfügung und es ist empfehlenswert, noch in der Schule zu lernen mit diesen effektiv umzugehen und sie in alltäglichen, akademischen oder beruflichen Situationen anzuwenden.
Worauf ich noch unbedingt akzentuieren möchte, ist meine feste Überzeugung, dass man das DSD primär als ein Mittel und nicht so sehr als Ziel betrachten soll. Es ist zwar besonders wichtig, dass man die Prüfung schafft und das Sprachdiplom in der Hand hat. Indessen darf man meines Erachtens aber nicht glauben, dass das Zertifikat an und für sich der künftige Schlüssel für alle Türen ist. Man muss kontinuierlich seine sprachlichen sowie kommunikativen Kompetenzen entwickeln, weil das heutige alltägliche und berufliche Leben dies einfach fordert und keine Kompromisse hiermit zulässt.


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